Praktika bei NGOs: mehr Frust als Freude

Nachdem ich meinen Master in London abgeschlossen hatte, war ich optimistisch und hochmotiviert. Ich freute mich seit Jahren auf den Moment, an welchem ich endlich in die Praxis einsteigen und in einem Team von Gleichwertigen mitwirken würde. Mein Enthusiasmus verflog jedoch, als ich realisierte, dass ich nur über das Absolvieren von (mehreren) Praktika zu einer Festanstellung gelangen würde. 

Heiss umworbene Praktikumsstellen 

Ich war 26-jährig, viersprachig, qualifiziert, neugierig, engagiert, diszipliniert, beim RAV angemeldet und verzweifelt. Denn bedauerlicherweise sind Praktika bei NGOs, die zu Frauenrechten und Friedenspolitik arbeiten, rar und unterbezahlt. Für ein Praktikum bei einer meiner Lieblingsorganisationen, auf welches sich mehr als 400 Personen bewarben, hätte ich monatlich 900 CHF verdient, was gerade für die Miete und Krankenkasse gereicht hätte. 

Viele NGOs haben knappe Lohnbudgets, während das Angebot an jungen Universitätabsolvent:innen, die in sozialpolitischen Bereichen arbeiten wollen, ungleich grösser ist. Dies führt dazu, dass die Arbeitgebenden für schlecht-, unter- oder gar unbezahlte Praktika mühelos zahlreiche Interessent:innen finden. Heiss umworben sind sie, diese wenigen Praktikumsstellen bei den Schweizer NGOs. Dankbar soll man sein, wenn man zu den Auserwählten gehört. Kritik zu äussern oder offen über Verbesserungsvorschläge zu sprechen, fällt vielen Praktikant:innen schwer, weil sie nur auf befristete, meist kurze Zeit angestellt werden und befürchten, dass dies Auswirkungen auf künftige Karrierechancen haben könnte.

Auszubildende oder günstige Arbeitskräfte?

Wenn man die langersehnte Chance dann endlich bekommt, verfliegt die Vorfreude oftmals schnell. Viele Praktikant:innen werden als günstige Arbeitskräfte eingesetzt und nicht als «Auszubildende», was sie per Definition eigentlich sind. Laut Bundesamt für Statistik ist ein Praktikum «eine Tätigkeit […], die entweder während oder direkt nach der Ausbildung bzw. dem Studium praktische Erfahrungen im künftigen Beruf vermitteln soll und zur Entwicklung von Problemlösungskompetenzen dient. Das Praktikum ist zeitlich begrenzt und soll nicht länger als 6 Monate dauern. Die Praktikanten haben laut Rechtsprechung grundsätzlich einen Anspruch auf eine angemessene Entlöhnung». Ein Praktikum ist ein befristetes Arbeitsverhältnis mit Ausbildungscharakter, wo berufsrelevante Qualitäten trainiert und gefördert werden sollen.

Fehlendes Feedback verhindert Lerneffekt

Wenn man schon einen niedrigen Praktikumslohn erhält, sollte man im Gegenzug viel lernen und mitnehmen können. Dies ist nur der Fall, wenn das Praktikum eng begleitet und gut strukturiert ist sowie Feedback erteilt wird. Fehlendes Feedback verhindert den versprochenen Lerneffekt und demotiviert. Von Kolleg:innen und anderen Praktikant:innen habe ich erfahren, dass ihre Praktika in NGOs oftmals chaotisch waren. Viele waren entweder auf sich allein gestellt, verloren und überfordert oder aber mussten Aufträge erledigen, die viel zu einfach für sie waren. Grundsätzlich fehlt es vielerorts an Praktikumsbegleitung, Kritikempfänglich- und Fähigkeit, klaren Aufgabenstellungen und einer konkreten Zielsetzung. Sinnvoll ist ein Praktikum nur dann, wenn man in ein Team eingebunden wird, viel lernen kann und das eigene Tun einen Mehrwert oder Impact generiert.

Ewige Praktikant:innen 

Ein Praktikum sollte idealerweise dazu da sein, um den eigenen Lebenslauf aufzuwerten, Kompetenzen anzuhäufen und Lernfähigkeit zu signalisieren. Dabei sollten zwei Praktika ausreichen müssen, um eine Person für den Berufseinstieg beziehungsweise eine Feststellung «fit zu machen». Das Absolvieren von Praktika soll uns bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen, was leider oft nicht der Realität entspricht: Während die meisten Praktika sechs Monate dauern, werden viele Einstiegsjobs bei den NGOs ab zwei+ Jahren Berufserfahrung ausgeschrieben. Das bedeutet, dass mindestens vier sechsmonatige Praktika benötigt werden, um die zwei Jahre Berufserfahrung zu erfüllen. Praktikant:innen finden sich so plötzlich in einer Praktikumsspirale wieder oder werden für viele Praktika als über- und für Festanstellungen unterqualifiziert eingestuft.

Wem dienen Praktika wirklich? 

Zum Abschluss möchte ich dafür plädieren, dass sich NGOs die folgenden zwei Fragen in Bezug auf ihre Praktikumspolitik ehrlich beantworten: Erstens, wird die Unterbezahlung der Praktikant:innen durch die erlernten Kompetenzen kompensiert und lässt sich die angewandte Praktikumspolitik mit den Werten der Organisation vereinbaren und zweitens, nach wessen Bedürfnissen sind die Praktika ausgerichtet und wem dienen sie wirklich?

Ich persönlich habe meine Freude wiedergefunden und den Frust geschluckt. Dies aber nicht wegen eines tollen Praktikums oder einer Festanstellung, sondern weil ich mich als Texterin und Lektorin selbstständig gemacht habe. Obwohl ich während den Praktika meine Schreib- und Redaktionsfähigkeiten weiter trainieren konnte, bezweifle ich deren Wirksamkeit für junge Berufseinsteigende in ihrer heutigen Form. Praktika sollten kein Weg zum Ziel, kein Mittel zum Zweck sein, vielmehr sollte man in ihnen aufgehen, Neues entdecken und beruflich wachsen können. Dies geschieht nur dann, wenn man aktiv eingebunden, wertgeschätzt, ermächtigt, ausgebildet, in den eigenen Fähigkeiten bestärkt und fair entlöhnt wird.

Meret Wälti

Meret Yannice Wälti, 27-jährig, ist Anthropologin spezialisiert in Gender-, Frieden- und Sicherheitsfragen. Heute lebt und arbeitet sie als freischaffende Texterin und Lektorin in Bogotá, Kolumbien, wo sie WILPF Kolumbien bei der Implementierung der Agenda 1325 unterstützt.

https://www.sinnvoll.biz
Zurück
Zurück

Wie NPOs ihre Reputation aufrechterhalten können

Weiter
Weiter

Talent-Magnet einer Stiftung